ES WAR EINMAL SOCIAL MEDIA

 

WENN ICH AM STRAND MEDITIERE UND KEIN SELFIE MACHE, IST ES DANN ÜBERHAUPT PASSIERT? WIR MÜSSEN LERNEN OHNE ABLENKUNG DAS JETZT AUSZUHALTEN, UM EINES TAGES SAGEN ZU KÖNNEN: WEISST DU NOCH, SOCIAL MEDIA, DIESES DING, DAS UNS DAMALS DIE ZEIT GESTOHLEN HAT?


 

Vielleicht sind die Tage der Likes und Follower schon gezählt.

Möglicherweise haben die sozialen Medien – die genau das nie waren: sozial – ihren Zweck bald erfüllt.

Vielleicht sind sie bald nur mehr ein Relikt der Vergangenheit, auf das wir wie auf ein peinliches Foto aus unseren Jugendtagen blicken.

Nicht mehr als eine Sünde, die wir uns irgendwann liebevoll verzeihen dürfen.

Vielleicht war das alles nur dazu da, um uns das Wertvolle in Erinnerung zu rufen, das wir verloren haben.

Vielleicht mussten wir uns erst in der Oberflächlichkeit der Selbstdarstellung verlieren, um zu erkennen, dass es da eine höhere Sehnsucht gibt. Etwas, das uns auch ohne Klicks und Kommentare in unserer Essenz verbindet. Etwas, das uns dazu antreibt, uns wieder als die Menschen zu begegnen, die wir sind.

Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

Ein Vielleicht, das sagen will, dass es im Grunde egal ist, ob wir uns dafür oder dagegen entscheiden.

Wichtig ist nur, dass wir unser Leben leben, statt dem Drang zu folgen, es ständig zu dokumentieren. Wir sollten aufhören, unsere Bedeutungslosigkeit in eine Einzigartigkeit verwandeln zu wollen. Denn kaum haben wir einen Post, eine Story, ein Reel geboren, ist es auch schon wieder Vergangenheit, die keinen interessiert. Unsere Mühen sind Zeitverschwendung.

Zeit, die wir großzügig verschenken, obwohl wir sie gar nicht haben. Zeit, die umso kostbarer erscheint, je länger unser Leben dauert.

Irgendwo habe ich gelesen: Wenn ich am Strand meditiere und kein Selfie mache, ist es dann überhaupt passiert?

Nur unser Verstand braucht diese Ereignisse. Diese Momente, in welchen irgendetwas passiert. Etwas, das sich einordnen und abspeichern lässt. Etwas, das später die eigene Existenz bestätigt und das Erlebte beweist.

Unser Herz ist nur im Jetzt zu Hause. Unsere Seele klinkt sich aus, wenn der Verstand wieder mal wie in Trance durch die Kanäle scrollt. Er möchte sich berieseln lassen. Vielleicht hat er sogar ein Recht darauf. Wellness für das Gehirn, das eine Pause vom Denken, Vergleichen, Bewerten und Kategorisieren braucht. Und dann genau in diese Falle tappt. Wie ein Hundewelpe in eine Pfütze.

Möglicherweise genügt es ja, nur eine kleine Sache zu verändern: dem Herzen mehr Aufmerksamkeit als dem Verstand zu schenken. Und dem Ego hin und wieder ein ‘Fuck off’ entgegenzuschreien, wenn es sich mal wieder zu wichtig nimmt und im Tun verrennt.

Wenn wir stattdessen unser Herz befragen, was es braucht und wonach es sich sehnt…

Wenn wir wieder lernen, ohne Ablenkung das Jetzt auszuhalten und uns wieder trauen, verbindlich zu sein – mit uns selbst, mit anderen Menschen und der unendlich kostbaren Natur, die uns umgibt…

…dann werden wir eines Tages hoffentlich sagen können: Weißt du noch, diese Sache mit Social Media? Dieses Ding, das uns damals die Zeit gestohlen hat.

Wir werden lachen und sagen: Kaum zu glauben, wie dumm wir doch waren!

Und mit etwas Glück schweben solche Momente dann schwerelos im Raum, einfach so. Und alles ist gut, so wie es gerade ist, weil wir verlernt haben, nach dem Handy zu greifen.

Jeanette